Nichts und doch viel verstehen – ein Kinobesuch in Indien
8.3.2016 | 📎 Indien | ✏ Kultur
Nichts und doch viel verstehen – ein Kinobesuch in Indien
Nirgendwo werden so viele Filme produziert wie in Indien. Logisch nur, dass auf unserer Indien-Reise auch ein Kinobesuch auf dem Programm steht: eine Bollywood-Produktion in Hindi-Originalsprache. «Ihr könnte ja einfach wieder rauskommen, wenn ihr genug gesehen habt», meint unser Fahrer. Er warte auf dem Parkplatz.
Er muss leider lange warten, denn wir bleiben bis zum Schluss.
Kino ist Familiensache
Dass wir an diesem drückend heissen Tag in Jaipur so lange im bekannten Kinopalast «Raj Mandir» sitzen, ist nicht (nur) der Klimaanlage zu verdanken. Das Gebäude selbst ist sehenswert, der Film auch – und das Drumherum sowieso. Die Kino-Lobby ist im pastellfarbenen Crèmetorten-Stil gehalten. Oder wie im Reiseführer steht: «Rajputen-Rokoko». Zur Nachmittagsvorstellung haben sich viele Familien mit Klein- und Kleinstkindern eingefunden. Wer nun denkt, es ging im Kinosaal zu und her wie auf dem Spielplatz, der irrt. Die Kleinen sind extrem ruhig und schlafen im dunklen, gekühlten Raum sowieso bald ein. Action auf der Leinwand und lauter Sound aus den Lautsprechern hin oder her.
Nichts und doch viel verstehen
Feierlich öffnet sich der rote Raffvorhang. Gespielt wird «Brothers», ein offizielles Remake des Hollywoodstreifens «Warrior». Das ist an sich schon bemerkenswert, war «Bollywood» doch lange dafür bekannt, internationale Filmklassiker ungefragt und schamlos zu kopieren. «Brothers» ist ein Action-Film mit vielen Mixed-Martial-Arts-Elementen, gesprochen in Hindi mit eingestreuten Brocken Englisch. Das Faszinierende: Wir können der Geschichte trotz Sprachbarriere gut folgen. Die klare Bildsprache und die starke, fast übertriebene Gestik und Mimik helfen dabei. Es geht um eine zerrüttete Familie, ein zerstrittenes Brüderpaar, Kampfsportler, die sich am Ende an einem grossen Turnier im Ring gegenüberstehen.
Film-Trailer «Brothers»
Bollywood-Spezialität: Item Number
In manchem unterscheidet sich der Film kaum von internationalen Blockbustern. Er hat aber typisch indische Eigenheiten. So taucht plötzlich aus dem Nichts eine mandeläugige Schönheit auf. Für indische Verhältnisse sehr frivol gekleidet, umgeben von einer Heerschar von Tänzern, bewegt sie Mund und Körper geschmeidig zu einem mitreissenden «Bollywood»-Song. Mit der Handlung des Films hat die unmotivierte Gesangseinlage nichts zu tun. Und mit dem letzten Ton verschwindet auch die Tänzerin wieder. Solche eingestreuten Musiknummern, «Item Numbers» oder «Item Songs» genannt, sind eine Eigenheit des Bollywood-Kinos. Oft wird eigens dafür ein Star gecastet. In diesem Fall heisst er Kareena Kapoor. Aber: auch wenn sie die Lippen zum Lied bewegt – gesungen wird es von jemand anderem, wie das «Making of»-Video zeigt.
«Making of»: Musiknummer für den Bollywood-Film «Brothers»
Das Publikum lebt
Der aufwendig produzierte Musikclip kommt, zumindest beim männlichen Teil des Publikums, gut an. Es wird gejohlt, gepfiffen, geklatscht. Überhaupt ist der Zuschauer im indischen Kino nicht dazu verdammt, den Film stumm und emotionslos an sich vorbeiziehen zu lassen. Das Publikum lebt und leidet mit, drückt Unmut oder Zustimmung auch mal lautstark aus. Gegen Ende erreicht die Spannung im Saal ihren Höhepunkt. Auf der Leinwand kommt es zu einer Serie von Kämpfen, Inder gegen Ausländer. Der Saal fiebert mit, als handle es sich um eine Live-Übertragung.
Der Inder gewinnt! Jubel. Applaus. Vorhang.
Die Kommentare sind geschlossen.